...oder die Geschichte eines WegwerfautosWie die Gmoa sicherlich schon vermutet hat, wird der
süwane R11 in nächster Zeit zu mir übersiedeln.
Weil mir die allgemein übliche Aufzählung von Baujahr-Peess-Hubraum-Farbe-und-i-gfrei-mi einfach zu fad ist, hab ich mir gedacht, in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um eine praktisch ausgestorbene Spezies handelt, wär es vielleicht interessant zu erfahren, was dahinter steckt. Wens nicht interessiert, dem sei verziehen.
Die Zwillinge R9 und R11 wurden 1982 (9) bzw. 1983 (11) vorgestellt. Technisch und karosseriemässig bis zur C-Säule identisch, waren sie für verschiedene Kunden gedacht.
Der R9 für die konservative Käuferschicht, er kam mit Stufenheck, prinzipiell vier Türen, unspektakulärer Front mit Breitbandscheinwerfern und einem eher altmodischen Armaturenbrett. Im Jahr 1982 konnte er die zweifelhafte Ehre des Titels "Auto des Jahres" ergattern.


Der R11 war das Hatchback, und als solches für die progressiver denkende Klientel gedacht. Das zeigte sich vor allem an der Front mit den rechteckigen Doppelscheinwerfern (die, nebenbei bemerkt, noch einen andern Hintergrund haben, doch davon später), aber auch am mutigeren Cockpit, frischeren Farben und dem Heck mit der charakteristischen Glaskuppel (Glaskuppeln waren im 80er-Jahre Frankreich trés chic, siehe Fuego, R25 oder auch Talbot Arizona alias Peugeot 309). Das Basismodell sowie die sportlichen Ableger waren dreitürig, alle anderen Modelle Fünftürer.



Vom R11 gab es auch die Modelle "TSE/TXE Electronic", die erstmals in dieser Klasse mit Mäusekino, einem zu Fehlmeldungen neigenden sprechenden Bordcomputer sowie einer 4x20W Stereoanlage im Doppel-DIN Format daher kamen.


Viel wichtiger allerdings als diese Neuerungen war der große Sprung, den die damals noch staatliche Regíe Nationale mit diesen Modellen machte. Die Modellpalette war Ende der 70er Jahre schon stark angegraut - der R5 (als Weiterentwicklung des R4) noch mit Längsmotor hinter dem Getriebe, der R18 im Prinzip der gute alte R12, und der 20/30 herzlichst erfolglos. Zudem war die Qualität nicht berauschend - obwohl der Rost eine Pest der 70er war, hatten die Franzosen hier eine besondere Art, sich hervorzutun. Das einzige Modell mit Quermotor - der R14

war ein Zwitter, unter dessen Haube die Technik des Peugeot 104 werkte, und von Kunden und Werkstätten gleichermassen verachtet wurde. Eine echte Wende musst her.
Der R9/11 brachte den Aubruch in die Moderne, als erstes selbstentwickeltes Modell mit Quermotor, für französische Verhältnisse straffes Fahrwerk und einer fühlbar besseren Verarbeitungsqualität und Zuverlässigkeit. Daneben feierte auch eine neue Motorengeneration im R9/11 Premiere, die sogenannte F-Motorenfamilie, die es bis vor kurzem noch käuflich zu erwerben gab, z.B. im Clio III. Auch das eine komplette Neuentwicklung, erstmals ohne nasse Laufbuchsen, und mit über Zahnriemen angetriebene obenliegende Nockenwelle. Diese Motoren waren im 9/11er als Diesel und 1,7 Liter Benziner lieferbar.
Basisantrieb waren allerdings altbewährte seitengesteuerte Cleon-Vergasermaschinen, mit 1108 bis 1397 cm³ (48 bis 72PS). Die 1721 cm³ große neue Maschine leistete 82 bis 90 PS, der 1,6 Liter Diesel 55 oder 60 PS.
Eine Sonderstellung hatten die Sportmodelle R9 und R11 Turbo. Die altvaterische seitengesteuerte Maschine wurde mit Vergaser und Turbo auf 105 bis 115PS gebracht, und hatte mit den 900 kg leichtes Spiel. Als R11 prinzipiell dreitürig und als R9 Viertürer, kamen die beiden mit etwas sportlichen Chi-Chi sowie netten Alus mit unspektakulären 175/65 14er Reifen daher. Anfangs gab es nur den R11 als Turbo.

1986 gab es ein Facelift, das vor allem dem R9 zugute kam: für nur ein Jahr erhielt er die Front der 11ers, und ab sofort war auch der R9 als Turbo erhältlich. Die 1,1-Liter Maschine wurde vom Markt genommen.

1987 kam gleich das nächste Facelift, wobei die fesche Doppelscheinwerferschnauze durch eine langweilige glattgebügelte Allerweltsfront getauscht wurde (meiner Meinung nach wurde speziell dem11er der Charakter genommen). Die besseren Modelle hatten dann Zusatz-Fernscheinwerfer und Stoßstangen in Wagenfarbe. Wichtigste technische Neuerung war der 1,7 Liter Motor mit Monopoint-Einspritzung, Kat und 75PS. Die Turbos blieben noch im Angebot.


Im letzten Jahr, 1988, war nur noch der 1,4-Liter mit Kat und 55 PS und der 1,7-Liter mit 75 PS sowie der Diesel lieferbar. Der Turbo konnte nicht katalysiert werden, daher gab es eine erstarkte Version des 1,7ers mit 95 PS unter der Bezeichnung GTE. Äusserlich identisch, war der drehmomentstärkere Einspritzer deutlich sparsamer, einfacher zu fahren - aber, wie ich gehört habe, auch ebenso deutlich fader.
1988 wurden R9 und R11 durch den R19 abgelöst - der letzte Renault mit Nummer.

In seiner Laufbahn gab es einige Sondermodelle des R9/11, z.B. "Spring" und "Cheverny", die sich nur durch Strefendekor und etwas Zusatzausstattung von den normalen unterschieden. Den 11er gab es als "Dialog" mit der kleinen Maschine und einfacherer Ausstattung, mit Mäusekino und Bordcomputer - aber statt der Stereoanlage ein einfaches Radio.
Ein Sondermodell des R9 verdient aber beondere Beachtung: der R9 "Louisiane". Mit Zweifarbenlackierung und "Sheriffstern"-Felgen sollte dieses Sondermodell auf das Engagement Renaults in den USA bei AMC hinweisen.

Durch diese USA-Verbindung wurde auch in Nordamerika Renault-Modelle angeboten - der R9 als "Alliance" und der R11 als "Encore". Im Gegensatz zum Rest der Welt gab es den R9 dort auch als Zweitürer und als Cabrio - von diesen haben es sogar einige nach Europa geschafft.



In anderen Teilen der Welt wurde speziell der R9 noch weiterentwickelt und -produziert. Speziell die Kolumbianer hatten den 9er ganz in ihr Herz geschlossen, daher gab es noch ein weiteres Facelift, das Front und Heck ein wenig dem R19 angleichen sollte. Der R9 wurde in Kolumbien 16 Jahre, also bis 1999 hergestellt - und im letzten Jahr war er immer noch das meistverkaufte Auto im Land!

Bei uns sind sie praktisch ausgestorben. Trotz ihrer Nehmerqualitäten und der recht guten Rostvorsorge wurden sie ausgelutscht, nicht gepflegt, und schlussendlich weggeworfen. Ich meine - schade drum! Das - und die Tatsache, dass mir sowohl das Styling als auch das für heutige Verhältnisse streichelweiche Fahrgefühl der 80er Jahre gefällt, ist der Grund, warum ich nicht nein sagen konnte, als der süwae 11er aufgetaucht ist. Und natürlich, weil ich ja drei 9er gehabt habe...
So, wer es bis hierher geschafft hat, dem sei hiermit virtuell die unsichtbare Tapferkeitsmedaille am Schuhband verliehen!